Samstag, 15. September 2007

Blutige Neugeburt im

afropazifischen

Jägerbund

Jungenbeschneidung

bis auf Weiteres

„heilige Handlung“?

Jacques Auvergne

Meine als Kind aus Oberschlesien übergesiedelte Nachbarin, ausgebildete Sozialpädagogin, deutscher Pass, hat drei Kinder, drei Söhne (11, 8 und 6 Jahre) von drei verschiedenen Vätern: einem Kroaten, einem Russlanddeutschen und einem Ägypter. Zu allen drei Männern hat sie und haben die Kinder seit Jahren leider keinen Kontakt. Doch da gibt es die Cousine des Ägypters und die wohnt im Stadtviertel. Im Sommer 2006 besuchte die verheiratete Ägypterin die allein erziehende Mutter und empfiehlt ihr, zur ’Gesundheit und zum Wohlbefinden des Jüngsten’ die unter Medizinern als Zirkumzision bekannte ’Beschneidung’ durchführen zu lassen. Nach 20 Besuchen und bei immer heftigerem Drängen der Nachbarin: “Ich kann nachts nicht schlafen vor Herzweh weil ich mir vorstelle, dass der Junge unbeschnitten bleibt“, gab die Deutsche nach und suchte einen Kinderarzt auf, nicht ohne ihren kleinen Sohn ’vorsorglich’ mit allerlei Listen auf eine angebliche Überflüssigkeit der Vorhaut aufmerksam zu machen. Der erste Arzt lehnte ab, der zweite, ein Urologe, führte die Operation auf Krankenkassenkosten durch, medizinische ’absolute Indikation’ bestand nicht. Inzwischen hat sie auch ihre beiden anderen Jungen beschneiden lassen können, man staune über ihre Argumentation: aus Gerechtigkeit. Eine relative Indikation dürfte sich gefunden haben, der Mythos Phimose funktioniert bei Kinderärzten oder Krankenhäusern gern und vielleicht fand sich ein Hauch von Entzündung an den Vorhäuten.

Hier ist der ethnische, nämlich ’multikulturelle’ Charakter der Entscheidung ’pro Zirkumzision’ einen Blick wert und die Frage, ob gegen das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit verstoßen wurde.

Objektiv gesagt stoßen zwei Kulturen aufeinander, eine, welche die Jungenbeschneidung als obligatorisch betrachtet mit einer, die sie traditionell nicht kennt. Es wurde nicht, als Kompromiss wäre das ja immerhin denkbar, ein Ersatzritual vollzogen oder nur die halbe Vorhaut entfernt. Auch folgte man nun gar nicht dem alteuropäischen Stil der genitalen Unversehrtheit. Sondern man folgte, vielleicht in einer modischen Orientbegeisterung oder aus Höflichkeit, der islamischen Alltagspraxis des vorläufig in sein Herkunftsland verschwundenen Vaters.

Ist es falsch, in dieser hier soeben beschriebenen und doch recht winzigen sozialen Struktur des ’Tradierens einer körperlichen Mutilation’ ein Modell zu sehen für die Ausbreitung einer Genitalmutilation (hier ist es ersichtlich unerheblich, ob eine solche an Jungen oder Mädchen durchgeführt wird), etwa in diejenigen Teile Afrikas hinein, die bis vor wenigen Generationen noch überwiegend keine Routinebeschneidung an Jungen kannten?

Vordergrund der zu erforschenden möglichen Attraktivität der Zirkumzision in multireligiösen Partnerschaften, speziell in christlich-islamischen ehelichen oder jedenfalls elterlichen Verbindungen ist natürlich die Abeitsmigration. Ein Stück Globalisierung mithin.

Von den zwei Kulturen, beschneidungsobligatorisch versus beschneidungsindifferent, fordert auch nur die eine, die andere, die der ’alten Europäer’, hatte sie schlichtweg seit Jahrhunderten übersehen (bis auf ein paar Diskussionen in der frühesten Christenheit oder anglophone Ärzte um 1900). Sicher, den Eid des Hippókrates gibt es, den Grundsatz des Patientenwohls, vielleicht sogar die Fähigkeit zur Kritik gegenüber obskuren archaïschen Mutilationsritualen wenigstens Minderjährigen gegenüber (Tattoos und Piercings sind ja unter jungen Erwachsenen seit 1980 sehr in Mode).

Wie kommen Islam und Judentum zur Amputation des Praeputiums?

Bruno Bettelheim (Die symbolischen Wunden – Pubertätsriten und der Neid des Mannes) forschte eingehend zu dem bis heute irritierend tabubehafteten Thema Jungenbeschneidung so vieler afrikanischer und pazifischer Völker. Er kommt zum Schluss, dass die Beschneidung einem etwas kläglichen Versuch der Aneignung der magischen weiblichen Geburtskraft durch die neidischen Jägerbünde entspricht. Blut müsse fließen wie bei einer Geburt. Diese blutige Initiation wird zum Gottesdienst.

Solche Neugeburt in die Kriegerkaste hinein würdigt die eigentliche Geburt herab, überkrönt diese jedenfalls hierarchisch, denn nur Männer werden zu Kulturwesen (’Mann wird gemacht’), die Frau bleibt dem Erdhaften nahe. Als Seele eines jeden Patriarchats kommt uns Europäern dieser mysogyne Anspruch (Griechen, Römer; Paulus; Vatican) durchaus bekannt vor, auch wenn die Europäer Genitalmutilationen nicht kennen.

Es ist wohl die Exotik der Körpermutilation in einem postmodernen Alltag der Geheimnislosigkeit, Belanglosigkeit und Seichtheit, welche ausgerechnet die nordamerikanische Pop-Ikone Madonna 2006 zu der bislang glücklicherweise wohl nicht umgesetzten Aussage hinreißen ließ: “Ich will meinen kleinen Adoptivsohn aus Malawi gemäß den heiligen Riten der hebräischen Kabbalah zirkumzisieren, beschneiden, lassen!“. Ein paar hundert Menschen protestierten empört, darunter Hindus, Atheisten, Juden, Christen und sogar Kabbalisten. Der biologische Vater des Knaben ermahnte ebenfalls Adoptivmutter Madonna: “bei uns in Malawi gibt es keine Jungenbeschneidung, bitte tun sie diese unnötige Operation meinem Sohn nicht an“. Muslime jedoch waren wohl nicht darunter, unter den Protestierenden, und dieses Schweigen sei uns einmal von Interesse.

Denn wohl nur Necla Kelek hatte bislang den Mut, in ihrem Die verlorenen Söhne – Plädoyer zur Befreiung des muslimischen Mannes ihre Glaubensschwestern und -brüder zum sofortigen Abschaffen des traumatisierenden Brauchtums der Routinebeschneidung aufzufordern. Vorerst sind es weltweit nur wenige Muslimas und Muslime, die Keleks aufgeklärten Vorschlag offen unterstützen, sei es aus Angst vor sozialer Ausgrenzung, aus sexualmagischen Motiven oder aus Furch vor Allahs vermutetem Missfallen. Jedenfalls verfolgen in Deutschland selbst die bildungsnäheren Menschen unter den türkischstämmigen Migranten die Strategie, zu Necla Keleks Beschneidungskritik feige zu schweigen.

Nichts scheint die Tradition der Sünnet ändern zu können, niemand verlässt dieses Kartell einer Generation um Generation und Junge für Junge aufs Neue zu wiederholenden Szene des blutigen Unterwerfens unter das Clan- und Männerrecht. Offiziell im Namen des Islams und das sogar mit einigem Recht: denn wenn auch die Beschneidung nicht im Koran steht, so fordert doch die Überlieferung (Sunna) aller Rechtsschulen die Amputation jener bergend-hüllenden, sozusagen weiblichen sensiblen Hautfalte, die eigentlich von Natur aus integraler Bestandteil des männlichen Genitales sein und bleiben sollte.

Seelisch‑sozial ein Kastrationsängste berührendes Leiden, blutig und vor den schweigend zuschauenden Zeugen der ewigen Großfamilie – du bist Opfer geworden, darfst es aber lebenslang nicht sagen. Ur‑Szene islamischer Gewalterfahrung, möglicherweise ja berechtigend zur Verachtung der unreinen, fürs Höllenfeuer bestimmten weil zumeist unbeschnittenen Männer.

Nordostafrikanische Hirtenstämme dürften einzelnen arabischen Clans die Beschneidung, weit vor Mohammed, einstmals überliefert haben und teilweise kannten wohl manche alten Ägypter die Jungenbeschneidung. Doch aus der Stammesfehde der Quraish und Sulaim (Mohammed in Mekka und Medina) wurde eine Weltreligion. Und wieder einmal ist Islam im interreligiösen Vergleich die Kultur des radikalen Spaltens: die Menschheit wird in zwei Quasi‑Rassen geteilt, in Beschneider und Nichtbeschneider, in Gläubige und Ungläubige.

Islamintern wird mit der Beschneidung, ebenso wie mit dem Kopftuch, die Gender‑Apartheid der zwei angeblich einander wesensfremden Männer und Frauen verewigt – seelisch ’halbierte Menschen’ (Dinnerstein). Community‑konforme sexuelle Aufträge werden dem Jungen mit der Beschneidung mitgegeben. Zu einem selbst bestimmten Leben, zum Erarbeiten einer ’eigene Geschichte’ (Kelek) wird mit der Zwangsbeschneidung nun leider nicht gerade ermuntert.

Ein Stammesritual der Steinzeit sickert in die prekäre kulturelle Moderne – Routinebeschneidung an Jungen.

Jacques Auvergne

Keine Kommentare: