Montag, 20. August 2007

Selbstmordattentate gegen Jesiden

Nord‑Irak:

Terror gegen Jesiden

von Jacques Auvergne

Die Gesamtzahl der Jesiden wird auf weltweit etwa 750.000 geschätzt. Die Jeziden leben im Irak, in Syrien, Armenien, Georgien und in der Türkei. Ihr Hauptsiedlungsgebiet ist der Nordirak, wo rund 450.000 Jesiden leben, davon 350.000 um Sindschar (Sinjar).

Jesiden sind sprachlich und ethnisch Kurden, nicht jedoch Muslime.

Ihre in Weltgefühl wie Menschenliebe relativ tolerante Religion ist altorientalisch. Heilige genießen einige Anerkennung, sieben Engel sind von Bedeutung, deren wichtigster, Melek Taus (Tausî Melek), als Pfauensymbol bildlich verehrt oder jedenfalls wertgeschätzt wird. Damit verstoßen die Jesiden aus islamischer Sicht endgültig gegen den ’reinen’ Monotheismus und gelten damit noch nicht einmal als Dhimmis, schützenswerte Menschen. Unweit von Mossul, in Baadhra bei Lalisch, residiert der Mir, das weltliche und geistliche Oberhaupt der Jesiden

Vier Tankwagen, beladen mit insgesamt etwa zwei Tonnen Sprengstoff explodierten am 14. August in den jesidischen Siedlungen Khatanijah, Adnanijah und Tal Usair, rund 120 km westlich der Großstadt Mossul und unweit von der Stadt Sindschar (Sindjar) liegen. Mit diesem sicherlich al‑Qaida zuzurechnenden Attentat hat eine seit dem Sturz des Diktators Hussein erneut aufgeflammte Serie von Gewalttaten gegen die Jesiden einen traurigen Höhepunkt erreicht. Bei den nahezu zeitgleich durchgeführten Autobombenanschlägen durch Selbstmordattentäter sind im irakischen Nordwesten, in der Provinz Ninive, annähernd 500 Jesiden ermordet worden. Hunderte von Häusern wurden völlig zerstört.

Die Stadt Sindschar (Sinjar) und ihre Nachbargemeinden liegen unweit der syrischen Grenze und werden mehrheitlich von den ethnisch wie sprachlich als Kurden zu betrachtenden Jesiden (Yeziden, Êzîden) bewohnt. Jesiden sind in den letzten Jahren wieder verschärft Opfer von muslimischer Gewalt geworden. 2007 etwa wurde eine Gruppe von 22 Jesiden, die auf dem Weg zu ihrer Arbeit in einer Textilfabrik waren, entführt und erschossen.

Die nichtislamische, zugleich kurdische Glaubensgemeinschaft der Jesiden ist seit jeher besonderen Verfolgungen ausgesetzt. Denn seit vierzehn Jahrhunderten werden zwischen Pakistan und Syrien alle nichtislamischen Menschen unterdrückt bzw. deren Großfamilien und Siedlungen angegriffen, ob die Menschen nun Hindus, Sikkhs, Baha`i, Christen, Parsen, Yarsan (Ahl‑e Haqq) oder Juden seien. Das geschieht aus der Glaubenslehre wie aus dem Selbstverständnis des Islams heraus.

Denn außerislamische beziehungsweise vorislamische Religionen gelten frommen Muslimen als Teufelswerk, deren Spuren zu vernichten islamisches Seelenheil verspricht. Deshalb konnte und kann sich al‑Quaida und ihr Umfeld durch Koran wie Islam beauftragt sehen, die afghanischen Buddha‑Statuen von Bamyan unter dem Jubelruf ’Allah`u akbar’, Gott ist groß, zu sprengen. Buddhisten sind keine ’Leute der Schrift’ und damit rechtlos, ihre Kunstwerke ’lästern Gott’.

Die Ummah dampft vor frommem Hass: der Terrorist als ihr Vertreter, als Symptomträger, er führt diese Frömmigkeit zu Ende. Genau so ein Handeln loben Koran wie Scharia als gottgefällig.

Sie ist damit so alt wie der Islam selbst, die Feindseligkeit der neueren Religion des Propheten Mohammed gegen alle älteren orientalischen Religionen wie diejenige der Jesiden oder diejenige der Parsen (Zoroastrier). Die Feindseligkeit etwa gegen die einstigen Hazara-Buddhisten, die, als Religion ausgerottet, heute ein islamisiertes mittelafghanisches Volk in der Gegend von Bamyan sind und sich, ganz anders als etwa die afghanischen Paschtunen, durch erstaunlich zentralasiatisch-mongolische Gesichtszüge auszeichnen. Der alltägliche Hass gegen die Juden, das ist orientalischer (oder, neuerdings: deutscher) Islam. Die Unterdrückung der Chaldäer und Assyrer, zweier christlicher irakischer Gemeinschaften, das ist orientalischer Islam.

Von vielen kleinen Religionsgemeinschaften werden die meisten Europäer noch nicht einmal gehört haben. Die nordirakische schiitische Volksgemeinschaft beziehungsweise Glaubensgemeinschaft der Schabbak (Shabak) etwa, sie spricht wohl weniger eine kurdische Sprache (indogermanische) denn ein Zaza‑Gorani (auch indogermanisch, aber nichtkurdisch), die Schabbak verstehen sich als Schiiten und Muslime, was ihnen das Überleben vielleicht sichert. Bei den irakischen und iranischen Yarsan, auch als Ahl-e Haqq bekannt, ist es schon fraglicher, ob sie mit ihrem Glauben an die Reinkarnation (Seelenwanderung) noch muslimische Schiiten sind oder aber bereits Nichtmuslime.

Jesiden

Die ebenfalls gerne an die Seelenwanderung glaubenden Jesiden sprechen Kurmandschi, ein Kurdisch, das der alten iranischen Sprache des Avesta, des heiligen Buches der Zoroastrier verwandt sein soll. Orientalisch, indogermanisch, kurdisch, patriarchal‑mysogyn, Erbe Babylons und Zarathustras, ziemlich monotheistisch, nicht ganz so sehr dualistisch, anderen Religionen gegenüber in Theorie und Praxis recht tolerant, so ließe sich das Jesidentum charakterisieren. Ehrenmorde und Steinigungen kommen bei den Jesiden leider ebenso vor wie bei den Muslimen dieser Region.

Irakisch Kurdistan hat eine weitere grausame ethnologische Besonderheit aufzuweisen, die es beispielsweise mit dem heutigen Ägypten teilt: FGM, Female Genitale Mutilation (weibliche Genitalverstümmelung), das heißt die Amputation mindestens der Klitoris. 60% der Frauen im kurdischen Nordirak sind genitalverstümmelt (90% der Ägypterinnen), aber kaum einer an Tigris und Nil spricht darüber, leider auch nicht an Rhein und Elbe unter den ’aufgeklärt-toleranten’ oder ’multikulturell-linken’ Europäern.

Ob auch die Jesiden Genitalverstümmelung an Frauen durchführen oder ob ’nur’ ihr kurdisch‑muslimischen nordirakischen Nachbarn ihrer Tochter das Geschlechtsorgan verstümmeln ist gegenwärtig wohl nicht bekannt. Wie auch immer, die FGM muss weltweit abgeschafft werden; erste hoffnungsvolle Projekte etwa von Terre des Femmes gibt es ja bereits.

Jesiden sind keine Muslime. Sie selbst betonen ihre vorislamischen Wurzeln, Religionswissenschaftler verneinen dieses nicht ganz und sehen das Jesidentum gerne als ein Amalgam aus christlichen, nestorianischen, islamischen, zoroastrischen und babylonischen Elementen. Den ihnen seitens des Islams entgegen gebrachten Vorwurf, kein ’Volk des Buches’ zu sein halten die Jesiden für falsch, wenn vielleicht auch nur aus der Angst heraus, für die Macht habenden Muslime noch weniger wert zu sein als die Dhimmis (Schutzbefohlenen, im allgemeinen Juden und Christen), nämlich vogelfrei, rechtlos.

Dieser angeblichen Rechtlosigkeit der Jesiden aus islamistischer und wohl auch aus islamischer Sichtweise ist in diesen Tagen mit dem Morden von einem halben Tausend Jesiden Ausruck verliehen worden.

Eine Vertreibung der Jesiden aus dem Irak soll vielleicht erreicht werden, ein Genozid an allen Nichtmuslimen des Orients ist wohl das erhoffte Ziel. Das ethnoreligiös rassereine Dar al‑Islam. Die alte religiöse Vielfalt des Orients soll endgültig zerstört werden. Sakralrassismus pur.

Gegenwärtig rechnen die kurdischen Wortführer die Jesiden gerne dem eigenen Volk zu. In der Vergangenheit jedoch war die Lage zwischen den kurdischen Jesiden und den kurdischen Muslimen oft ähnlich angespannt wie zwischen Jesiden und nichtkurdischen Muslimen. Im Frühjahr 2007 wurde die 17jährige Jesidin Dua Chalil Asuad von den Männern ihres Clans gesteinigt, die eine Liebesbeziehung mit einem Muslim hatte. Die schrecklichen Bilder, mit Mobiltelephonen bzw. Photo‑Handys aufgenommen, gingen in diesen Tagen um die Welt. Was aber werden diese Bilder bewirken? Blanke Sensationslust? Sprechen muss man über die Steinigungspraxis – um die Praxis auszurotten. Grauen als Selbstzweck jedoch arbeitet dem bronzezeitlichen Mordkartell womöglich eher zu. Die Frag nach der ’Ethik des Bildes’.

Ehrenmorde, ’tödliche Küchenunfälle’, Steinigungen, Frauengesichter mit Säure verätzen, das ist im ganzen Gebiet der Hindus, Paschtunen, Kurden und Türken nichts Außergewöhnliches. Die mehrtausendjährige orientalische Gender‑Apartheid wurde allerdings in keiner Religion so sehr kanonisiert (Scharia) wie im voraufklärerischen Islam. Und ganz klar muss man sagen, dass Juden, Assyrer (Christen), Chaldäer (auch Christen), Jesiden, Parsen und Baha`i die Opfer der Muslime sind, nicht die Täter. Muslimbruderschaft und al‑Qaida wollen weltweit das Kalifat herbeibomben, Jesiden und Baha`i nicht.

Muslime sehen es offensichtlich als Sport, dieses ihr Täter‑Sein augenzwinkernde zu vernebeln mit einem: “Die haben ja angefangen“. Die Waffe noch in der Hand, der Nichtmoslem tot auf der Erde, darf der Muslim von seinem Glauben her (Taqiyya) sagen: “Er/sie ist schuld, er/sie hat den Propheten beleidigt, er/sie hat den Koran entweiht“ – die üblichen Vorwürfe halt.

Das Machtkartell Islam war schon immer eine Struktur der Nachhaltigkeit: ’nachher’ … gab es nur noch Muslime.

Lebende Buddhas

Nachher gab es keine Nichtmuslime mehr. Nach der Herrschaft der Moguln in Indien beispielsweise gab es keine indischen Buddhisten mehr. Eine makabre Fußnote im Geschichtsbuch, wenn die Zerstörung sämtlicher buddhistischer Klöster und Heiligtümer Indiens überhaupt noch in einem Geschichtsbuch eingetragen ist. In Nordindien, im Land des historischen Buddha gab es dann keine Buddhisten mehr, bis sich 1959 ein paar tausend lamaistisch-buddhistische Flüchtlinge aus dem von China annektierten Tibet ansiedelten. Die buddhistische Religion wie Alltagspraxis unterdrückt oder ermordet Andersgläubige seit Jahrhunderten recht verlässlich niemals. Der Islam ist da etwas direkter.

35.000 bis 45.000 Jesiden, zumeist Religionsflüchtlinge aus der Türkei, leben bereits in Deutschland – ob sie ihre Heimat jemals wieder sehen können?

Die riesigen, steinernen Buddhastatuen von Bamyan, für Islamisten und auch bereits für Muslime sind sie die ’satanischen Spuren der Zeit der Unwissenheit’. Muslime dampfen vor religiösem Hass – der Attentäter wird zu ihrem Symptomträger. Iraks Jesiden als die lebenden Buddhas.

Ob wir in Deutschland ’unsere’ Jesiden vor ’unseren’ Islamisten werden schützen können? Überhaupt schützen wollen? Denn die Gefährdungslage für orientalische Nichtmuslime hat sich globalisiert, seitdem der Scharia‑Islam als die Religion des unterentwickelten Teils der Erde zur Religion der unterentwickelten europäischen Stadtteile wurde.

Das Attentat fand am 14. August statt, einen Tag vor der Feier des Tages der Unabhängigkeit Indiens.

Derzeit haben viele irakische Christen aus Bagdad, Basra und Mossul im kurdischen Nordirak Zuflucht gefunden, die vor Terrorismus und bürgerkriegsähnlichen Spannungen, vor Jizya (Zwangssteuer) und angedrohter Zwangskonversion fliehen mussten.

In Armenien leben die Jesiden ohne Schwierigkeiten, im Pass mit der ’Nationalität: jesidisch’ anerkannt.

In der angeblich so säkularen Türkei jedoch werden die Geburtsurkunden jesidisch-kurdischer Kinder bewusst falsch mit der ’Religionszugehörigkeit: islamisch’ ausgestellt. Für ein solches Tun, für die jahrzehntelangen und einem kulturellen Genozid gleich kommenden Schikanen gegen griechisch‑orthodoxe Christen sowie für die Leugnung des Völkermordes von 1915/16 an annähernd eineinhalb Millionen christlichen Armeniern möchten die bundesdeutschen Politiker von GRÜNEN und SPD die Türkei mit einer EU‑Vollmitgliedschaft belohnen.

In Kirkuk wurden am 14.08. die Leichen zweier jesidischer Männer gefunden. Man hatte sie gesteinigt.

Am 15.08. sprengte ein Selbstmordattentäter eine Brücke in Bagdad und riss zehn Menschen in den Tod; am gleichen Tag wurden der stellvertretende irakische Erdölminister Dschaber al‑Wagaa und vier seiner Mitarbeiter aus ihrem hauptstädtischen Büro durch eine unbekannte Gruppe Uniformierter entführt.

Jacques Auvergne


2 Kommentare:

Juliana Zeedijk hat gesagt…

Liebe Tamara,

unser frecher Jacques trifft`s mal wieder.

Nun soll der Jacques aber auch mal was über die Sache mit den zerstörten Theatern in London bringen, du weißt doch, die Aufragung der patriarchalen Sikkhs über religionskritisch-spöttische Inhalte wie Lebenshaltungen einer jungen Stückeschreiberin aus eben dieser Sikkh-Religion ... wie war das doch?

Recherchiert mal schön, hihi

Thea Stavridis hat gesagt…

Die Jesiden sind seit Jahrhunderten versklavt. Sie verstecken sich, verkrümeln sich in die Wagenburg ihrer Steppensiedlung bzw. ihrer [z.T. ja in die EU/USA migrierten] patriarchalen Sippe, die Jesiden hüllen in den (vermeintlich sicheren, wie lange, wann überhaupt) Schutz des Kurdentums.

Ich kenne eine seit zehn Jahren in Europa lebende 'jesidisch-alevitische' Familie, ich muss denen das ja glauben: 100% jesidisch UND zugleich 100% alevitisch, sagen sie selbst jedenfalls.

Ernst zu nehmende Forscher sagen, die Kurden wären ALLE einmal jesidisch gewesen - naja, irgendeine Religiositä mussten sie vor 622 n.Chr. ja gehabt haben, jedenfalls werden alle Kurden einst einmal 'sehr jesidisch' gewesen sein. Auch in das Alevitentum scheint uns 'jesidisches religiöses Weltgefühl' eingeflossen zu sein.

Es geht dem Islam wohl darum, alle Andersgläubigen auszurotten. Sie können das - und sie tun das. Jetzt ist das Werkzeug al-Qaida, die letzten Jahrhunderte gab es eben andere dienstbereite Nichtmoslem-Versklaver.

Leider zweckmäßig ist die traurig stimmende Erwähnung der kurdisch-irakischen FGM (Genitalverstümmelung an Mädechen/Frauen).

Gefängnis Islam, ja, aber auch Gefängnis Kurdentum. Da ist Individualität nicht möglich.